Blogeintrag 2

Wilson Ekern
2 min readOct 1, 2020

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Als ich hier vor dem Café Central sitze (denn es gibt die Pandemie!), denke ich an die Vorgänger, die hier auch einmal saßen. Dieses Café hat ja eine lange Geschichte. Ich kann hier nicht alles auf einmal schreiben, aber es gibt einen dieser Vorgänger, den ich besonders gerne besprechen möchte, und zwar den bekannten Schriftsteller Peter Altenberg. Ich denke, dass sein Zeugnis als Modernist in diesem Zitat klar wird: „Ich interessire mich nicht für die Dinge, die waren; ich interessire mich für die Dinge, die sind, die kommen werden! Aus den Vitrinen aber der edlen Geschäfte strahlte mir die »neue Kunst« entgegen, als ich einsam durch die schönen Strassen ging!“ Altenberg hatte bestimmt ein komisches Leben als ein integrierter Jude, der Juden hasste, und als ein Mann, für den die „Unfähigkeit, zu lernen“ pathologisch war (Biographie „Studium“). Vielleicht kommt sein einzigartiges Interesse an der Zukunft daher, denn ein Mann ohne Vergangenheit muss entweder die Gegenwart oder die Zukunft haben. Das Café Central war für diese Person ein perfekter Ort.

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Harold B. Segel nennt das Café Central „the literary coffeehouse of turn-of-the-century Vienna” (Segel 21). Ein Ort, an dem man stundenlang sitzen und sich unterhalten oder sich einfach in der unendlichen Parade von Leuten verlieren konnte (4). Es scheint wie ein Ort, an dem man die Vergangenheit schnell vergessen kann. Welchen Nutzen hat die Vergangenheit, wenn alles sich so schnell verändert? Ich denke an Altenbergs Zitat, als ich mich im Café umschaue, die Säulen und dieses merkwürdige Licht sehe (Segel 23), und die Vergangenheit sich anfühlt, als ob die Altenbergfigur aus Pappmaché (Biographie „Café“) einfach zum Leben erwachen würde. Er würde bestimmt etwas Charmantes über elf-jährige Mädchen sagen (Biographie „Mädchenverehrung) — somit ist es vielleicht besser, wenn die Vergangenheit in der Vergangenheit bleibt. Wie Marx sagt: „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden,“ (Marx 1). Altenberg schien von diesen Alpträumen immer gejagt zu werden, also macht es Sinn, dass er kein Interesse daran hatte.

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Quellen

Altenberg, Peter. Vignetten.

Marx, Karl. Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/kapitel1.htm. Zugegriffen 29. September 2020.

Peter Altenberg Kaffeehausliterat. http://www.viennatouristguide.at/personen/Altenberg/ab.htm. Zugegriffen 29. September 2020.

Segel, Harold B. „The Vienna Coffeehouse in Society and Culture“. The Vienna Coffeehouse Wits, Purdue University Press.

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